Wenn der Titan erwacht: Warum China längst führt und Deutschland im eigenen System stecken bleibt.
- Sven Olef

- 18. Nov.
- 3 Min. Lesezeit
Du läufst durch dieses Land und spürst es inzwischen an jeder Ecke: Deutschland wirkt wie ein alter, etwas müder Riese, der sich zu lange auf seinen Lorbeeren ausgeruht hat – während China im Hintergrund längst den Sprint angezogen hat. Die neue China-Disruption trifft uns nicht zufällig. Sie trifft uns, weil wir geglaubt haben, die Party würde ewig weitergehen. Die Wahrheit? Es war nie mehr als ein Deal auf Zeit – und China hat die Uhr gestellt.

Was früher wie eine Win-win Situation klang – deutsche Ingenieurskunst für den chinesischen schier unendlichen Markt – entpuppt sich heute als asymmetrisches Machtspiel. Während wir stolz unsere Maschinen exportierten, hat Peking systematisch Wissen abgegriffen, eigens auferlegte Joint Ventures genutzt und unsere Technologien in ihre Staatskonzerne eingespeist. Und jetzt, wo sie bereit sind, braucht man uns schlicht nicht mehr. Das Machtverhältnis ist gekippt. Punkt.
China flutet die Welt mit günstigen, hochskalierten Exporten in genau den Branchen, die einst deutsche Kronjuwelen waren: Autoindustrie, Chemie, Solartechnik, Robotik. Alles Bereiche, die Xi Jinping in seinen Fünfjahresplänen zur Chefsache erklärt hat. Und während wir über vier Regierungsparteien koordinieren, wer in welcher Woche über Wasserstoff sprechen darf, plant China seine Industriepolitik wie ein chirurgischer Eingriff: zielgenau, konsequent, brutal effizient.
Die Zahlen sprechen eine unbarmherzige Sprache: China kauft immer weniger aus Europa, aber wir kaufen ungebremst weiter aus China. Der alte Exportweltmeister wurde nicht geschlagen – er wurde überholt. Und zwar außen auf der Überholspur, während wir im Mittelstreifen blinken und überlegen, ob wir nicht doch auf E-Fuels setzen sollten.
Das eigentlich Erschreckende: Wir haben es kommen sehen. Und trotzdem haben wir uns abhängig gemacht. Von seltenen Erden, Batterien, Solarzellen – und vom chinesischen Markt selbst. Während China schon seit Jahren seinen Fokus auf Autarkie, eigene Lieferketten und strategische Rohstoffsicherung legt, hat Deutschland fröhlich weiter optimiert, gespart, ausgelagert. Effizienz vor Resilienz. Kostenminimierung vor Zukunftsfähigkeit. Und dann wundern wir uns, wenn der Sturm die dünnen Wände unseres Wirtschaftsmodells zum Zittern bringt.
Man darf nicht vergessen: 2001 wurde China in die WTO aufgenommen – damals von den USA befürwortet. Heute ist klar: Die Liberalisierungsversprechen wurden nie erfüllt. Marktöffnungen blieben aus. Stattdessen: massives Subventionswesen, systematische Währungsmanipulation, Dumpingpreise, Staat als Dirigent eines gigantischen Exportorchesters. Und wir? Wir haben zugehört, genickt – und bestellt.
Was bedeutet das für uns?Dass ein „Weiter so“ keine Option mehr ist. Deutschland steht vor einem Dilemma: Wie löst man sich von einer Volkswirtschaft, von der man abhängig geworden ist – die einem jedoch nichts mehr zurückgibt?
Klar, wir könnten versuchen, das chinesische Modell zu kopieren. Aber niemand hier möchte Arbeitslöhne drücken, den Yuan künstlich abwerten und eine Wirtschaft auf dem Rücken der Bevölkerung finanzieren. Und autoritärer Staatskapitalismus ist – hoffentlich – für uns keine Blaupause.
Aber wir können etwas anderes tun. Wir können lernen.
China hat strategisch gedacht. Wir nicht. China hat Zukunftsindustrien ausgewählt und mit Vollgas gefördert. Wir haben Jahre über Zuständigkeiten diskutiert. China hat ein industrielles Ökosystem aufgebaut. Wir haben Förderprogramme gestrichen, verlängert, wieder gestrichen. China plant in Fünfjahreszyklen. Wir planen in Legislaturperioden – und meist nicht einmal das konsistent.
Es geht nicht darum, China zu bewundern. Es geht darum, aufzuwachen. Denn die China-Disruption ist kein Ausrutscher. Sie ist ein Systemtest – und wir fallen gerade durch.
Wenn wir nicht endlich ein neues industrielles Selbstbewusstsein entwickeln, wenn wir nicht wieder beginnen, technologieoffen, mutig und strategisch zu handeln, wenn wir nicht akzeptieren, dass Wohlstand kein Naturgesetz ist – dann werden wir nicht nur abgehängt. Dann verlieren wir die Fähigkeit, unser eigenes wirtschaftliches Schicksal zu gestalten. Und das ist das wahre Risiko.




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